Generalisierte Widerstandsressourcen

Generalisierte Widerstandsressourcen im Coaching

Im letzten Beitrag „Salutogenese und Coaching“ habe ich neben einem kleinen Einblick in die Salutogenes vor Allem kurz und knapp ihre Relevanz für das (Business) Coaching herausgestellt. Daran anknüpfend möchte ich an dieser Stelle auf eine – vielleicht sogar die – zentrale, direkte Verbindung zwischen der Salutogenese und dem Coaching eingehen, die Ressourcen. Um in der Formulierung der Salutogenese zu bleiben, die generalisierten Widerstandsressourcen (generalized restistance resources, GRR).

Was sind generalisierte Widerstandsressourcen?

Eine GRR ist ein Merkmal eines Individuums, einer Primärgruppe, einer Subkultur oder Gesellschaft, das dahingehend wirksam ist, dass es bei der Vermeidung oder dem Umgang mit einer Vielzahl an Stressoren unterstützt und die Einheit so davor bewahrt, dass die Spannungen in Stress verwandelt werden (Eriksson 2022, S. 65 Übersetzung durch DL).

Antonovsky selbst schreibt in der deutschen Fassung dazu: „Das allen generalisierten Widerstandsressourcen Gemeinsame ist, dass sie es leichter machen, den zahllosen Stressoren, von denen wir fortwährend bombardiert werden, einen Sinn zu geben. Dadurch, dass sie einen fortlaufend mit solchen sinnhaften Erfahrungen versorgen, schaffen sie mit der Zeit ein starkes Kohärenzgefühl“ (Antonovsky 1997, S. 16).

Insbesondere mit Blick auf die lösungsorientierte Perspektive im Coaching ist es nicht nur das Schutzpotential vor Stress, das diesen GRR innewohnt. Die GRR unterstützen uns auch maßgeblich dabei, die guten und schönen Dinge im Alltag zu genießen, und Dingen wie Liebe, Freude, dem Spielen und auch der Arbeit oder Lerngelegenheiten entgegenzukommen und diese genauso auf- und anzunehmen und zu genießen. Und so zu wachsen, zu gedeihen, florieren und ein zufriedenes, „gesundes“ Leben zu führen (siehe dazu Bauer 2017, S. 157)

Was steckt hinter den Ressourcen?

Insbesondere die individuellen Ressourcen eines Menschen, einer Gruppe oder Organisation zielen im Modell auf die Anpassungsfähigkeit ab, egal ob nun Anpassung an widere Umstände oder ein kleine Nachjustierung, um freudige Momente vollends zu erleben. Weiterhin ist unser Sozialkapital als Ressource zu sehen, ebenso, wie die Bindung an eine Wertegemeinschaft. Was hinter den Ressourcentypen steckt, möchte ich kurz beispielhaft erläutern.

 

Anpassungsfähigkeit

Physikalisch: Hier stellt sich die Frage, inwieweit ich meine physikalische Umgebung ändern oder mich in sie einfügen kann. Kann ich z.B. meinen Monitor anders platzieren, wenn ständig die Sonne draufscheint?

Biochemisch: Wie ist es um mein Immunsystem bestellt, kann es mit Viren und Bakterien umgehen, was kann ich tun, um dieses zu stärken? Wie sieht mein Stoffwechsel aus? Wie kann ich meine Ernährung entsprechend anpassen oder einen Einfluss auf den Stoffwechsel nehmen?

Materiell: Wie sehen meine finanziellen Möglichkeiten aus? Wie mein Zugriff auf Kleidung, Ernährung, aber auch sozialer Status und „symbolisches Kapital“ (Bourdieu)?

Kognitiv-emotional: Über welches Wissen und „kulturelles Kapital“ (Bourdieu) verfüge ich? Wie ist meine kognitive, emotionale und soziale Intelligenz? Wie sieht meine Identität aus? Starr, dynamisch-integrativ oder diffus? Welche Gewohnheiten habe ich?

Werte und Einstellungen: Was sind meine wichtigsten Werte? Wo liegen meine „Unwerte“? Wie sehen meine Einstellungen zu relevanten Themen aus? Welche Werte und Einstellungen geben mir noch Orientierung?

Konativ-handlungsbezogen: Inwieweit verfüge ich über einen Weitblick? Kann ich, wenn nötig, auch „rational“ Abwägen und vernunftorientiert handeln? Wie ist es um die Flexibilität meiner Bewältigungsstile, Herangehensweisen, Kommunikation, Gewohnheiten etc. bestellt?

 

Sozialkapital

Unsere Beziehungsnetze als Ressourcen zeigen sich insbesondere in unseren Primärgruppen (Familie, Freunde, Kollegenkreis), also bei Menschen, mit denen wir unseren Alltag gestalten. Es geht um soziale Bindungen aus starken und mittelstarken Beziehungen mit „Werte- und Verpflichtungscharakter“. Es sind Menschen und Gruppen, mit denen wir (ein Mindestmaß) an Werten, Ideen, Denkweisen, Interessen etc. teilen. Doch auch schwächere Beziehungen zu Menschen/Gruppen fallen in diese Kategorie. So wichtig es ist eine vertraute Person zu haben, mit der ich auch über persönliche Probleme sprechen, kann, so nützlich ist es eine Bekannte zu haben, die mal eben checken, kann, was an meinem PC nicht stimmt.

 

Wertegemeinschaft

Die makrosoziokulturelle Orientierungsebene beschreibt eine grundlegende Identifikation mit den Werten einer Gemeinschaft, die mir helfen, mich in der Welt zu orientieren und dem, was ich tue einen Sinn zu geben. Dies kann eine Religionsgemeinschaft, Sportgemeinschaft, Volk(sgemeinschaft), Milieu, eine Scientific Community o.ä. sein. Wir können auch mehrere derartiger – potenziell im Konflikt stehender – Gemeinschaften haben, an denen wir uns orientieren. Insbesondere die moderne Welt liefert Menschen einen derartigen Überschuss solcher Gemeinschaften, dass das allein ein eigenes Coachinganliegen sein kann, diese Orientierungseben zu identifizieren oder eine solche Gemeinschaft zu finden.

Bedeutung für das Coaching

Der Vorteil dieses Modells ist, dass es klar macht, dass die Ressourcen auf der Mikroebene (individuelle Merkmale), auf der Mesoebene (im sozialen Beziehungsgeflecht) und auch auf der Makroebene (die gesellschaftliche Werte- und Orientierungsbasis) liegen können und wo wir als Coach mit unseren Klienten und Klientinnen genau nachschauen können. Wie das Salutogenesemodell an sich, gibt auch dieses Ressourcenmodell einen strukturierenden Rahmen auf der Suche nach und bei der Aktivierung von GRR. Auf dieser Grundlage kann der Coach gezielt Fragen und Thesen in den Raum stellen, die Coachees anregen, genauer hinzuschauen.

Die Aufgabe im Coaching ist es also, die für das Anliegen relevanten, vorhandenen Ressourcen zu identifizieren und gleichzeitig auch herauszustellen, wo dem Coachee etwas fehlt. Daran schließen sich Fragen an wie:

  • „Wie kann ich meine vorhandenen Ressourcen aktivieren?“
  • „Wie kann ich fehlende Ressourcen erwerben?“
  • „Wie kann ich Ressourcen, die ich nicht oder nicht unmittelbar erwerben oder aktivieren kann, anderweitig kompensieren?“

Darauf aufbauend kann dann erst ein „Handlungsplan“ erarbeitet werden.

Neben der Lösung unseres Problems oder der grundsätzlichen Verbesserung der Lebens- oder Arbeitszufriedenheit hat die Aktivierung der GRR einen weiteren positiven Effekt: Sie steigert nach und nach unseren Kohärenzsinn (Sense of Coherence, SOC) – Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit und Handhabbarkeit (Bauer et al. 2020). Das wiederum wirkt sich positiv auf zukünftige Problemlösungen und Lebensgestaltung aus, denn ein ausgeprägter Kohärenzsinn hilft uns dabei Ressourcen überhaupt erst zu erkennen und die dann auch zu nutzen. Die GRR und der SOC stehen also – wie in der Abbildung dargestellt – in einem zirkulären Verhältnis zueinander.

Literatur

Antonovsky, Aaron. 1997. Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: DGVT.

Bauer, Georg F. et al. 2020. Future directions for the concept of salutogenesis: a position article. Health Promotion International 35: 187–195.

Bauer, Georg F. 2017. The Application of Salutogenesis in Everyday Settings. In The Handbook of Salutogenesis, Hrsg. Maurice B. Mittelmark et al. Cham (CH): Springer.

Eriksson, Monica. 2022. The Sense of Coherence: The Concept and Its Relationship to Health. In The Handbook of Salutogenesis, Hrsg. Maurice B. Mittelmark et al., 61–68. Cham: Springer Open.

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