Verstehbarkeit

Kohärenzsinn: Verstehbarkeit

Der Kohärenzsinn (Sense of Corherence, SOC) wirkt wie eine Art sechster Sinn (Bhattacharya et al. 2020, S. 17) für unsere gesundheitliche Entwicklung. Ein ausgeprägter Kohärenzsinn zeigt sich darin, dass Menschen überzeugt sind, dass Dinge, die im Leben geschehen verstehbar, handhabbar und bedeutsam sind (Mittelmark und Bauer 2017). Der SOC ist somit eine Basis, um überhaupt auf unsere generalisierten Widerstandsressourcen zurückzugreifen und unser Leben aktiv zu gestalten. Siehe dazu auch hier (Salutogenese & Coaching, Widerstandsressourcen).

In diesem Beitrag widmen wir uns zunächst der Verstehbarkeit.

Verstehbarkeit

Die Basis für viele unserer Entscheidungen ist, ob wir das Gefühl haben, wir haben verstanden, worum es geht, was es damit auf sich hat, wie etwas funktioniert, ob wir Zusammenhänge nachvollziehen zu könne, was die Konsequenzen sein könnten etc. Zentral ist also die Frage der Verstehbarkeit. Dabei geht es nicht darum, „objektiv“ zu wissen, was Sache ist. Das Gefühl zu haben genügt (zunächst). Auch geht es nicht darum auch im Einzelfall mal „keinen Plan“ zu haben, sondern um die grundsätzliche Tendenz. Genauso ist damit nicht gemeint sich den (vermuteten) Zusammenhängen, Konsequenzen, Logiken, Funktionsweisen auch bewusst zu sein. Meisten ist es eher unser Habitus (Bourdieu) und dessen unbewussten Wahrnehmungs-, Denk-, Bewertungs- und Entscheidungsmuster, die Ereignisse eher in die Kategorie „ich hab’s geschallt“ oder „ich verstehe gar nichts“ (oder alles dazwischen) einordnet.

In der psychologischen Beratung, dem (Business) Coaching und übertragen beispielsweise auch in der Organisationsberatung spielt, wie im oben verlinkten Beitrag dargestellt, der Kohärenzsinn stets auch eine Rolle.

Es ist allerdings nicht immer leicht, derart abstrakte Konzepte in die Praxis zu übertragen. Daher hier ein paar Anregungen, wie wir Klienten dabei unterstützen können, den Aspekt der Verstehbarkeit zu stärken.

Tipps zur Stärkung der Verstehbarkeit für die Coaching- und Beratungspraxis

Hier nun ein paar Ideen, den Aspekt der Verstehbarkeit zu stärken. Dabei handelt es sich nicht um eine ausschöpfende Liste sondern um elementare, gut umsetzbare Ansatzpunkt.

 

Selbstverständnis

Es ist leichter die Welt zu verstehen, wenn wir uns selbst verstehen. Beratung und Coaching (egal ob für Individuen oder Gruppen) dienen stets auch der Selbstreflexion und Selbsterkundung. Wenn wir ein besseres Gespürt entwickeln, wie wir oder auch das Team oder die Organisation, für die wir zuständig sind, „funktionieren“ haben wir eine solide Basis auch Zusammenhänge in anderen Bereichen nachzuvollziehen.

 

Perspektivwechsel

Systemische Fragen wie z.B. zirkuläre Fragen („Wie würde Ihr Chef die Sache erklären/sehen/begründen?“), paradoxe Fragen („Was müsste passieren, damit es völlig in die Hose geht?“) oder Fragen zur Wirklichkeitskonstruktion („Woher wissen Sie, dass es so ist?“) tun genau eins: Sie regen die Menschen an Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und sie so besser zu verstehen oder nachvollziehen zu können. Regelmäßig durchgeführt wird dies auch die SOC-Dimension der Verstehbarkeit stärken. Das Gute ist, derartige Fragen müssen wir uns nicht durch einen Berater oder Coach stellen lassen, wir können sie uns auch immer wieder selbst stellen.

 

Austausch mit anderen

Im Coaching- oder Beratungsgespräch sind wir meist in 1:1 Situationen. Doch als Coach und Berater können wir unsere Klienten unterstützen, es in ihren Alltag zu integrieren, öfter mit anderen zu reden und deren Perspektiven genau zuzuhören – insbesondere denen, die wir nicht direkt teilen oder nachvollziehen können. Solch ein regelmäßiger Austausch auf Augenhöhe macht die Welt greifbarer, also Verstehbarer. Es fällt mir nach und nach leichter, sagen zu können „Auch wenn ich nicht dieser Meinung bin oder das Verhalten nicht gutheiße, kann ich Verständnis aufbringen, das es möglich und menschlich ist, so zu denken oder handeln“

 

Weiterbildung und das Einholen von Informationen

Wenn wir uns regelmäßig mit verschiedenen Dingen beschäftigen, ob nun in Seminaren und Kursen, durch die Lektüre von Büchern oder mittels YouTube-Videos, erlangen wir ebenfalls mehr Perspektiven, sammeln mehr „Wissen“ an und bekommen eben ein besseres Verständnis von der Welt. Dabei ist es übrigens zunächst kaum relevant, ob es sich um gut belegte „Fakten“ handelt oder empirisch haltlose Erklärungen. Es genügt ein Gefühl zu haben es verstanden zu haben – ob man es wirklich hat, ist nicht immer relevant. Mittel- und langfristig ist es schon wünschenswert, dass unsere Erkenntnisse nahe an der „Wirklichkeit“ sind, denn wenn wir glauben, Dinge funktionieren auf eine bestimmte Art und Weise, die echte Welt und aber immer wieder das Gegenteil vorhält, wird das nicht nur unsere Verstehbarkeit, sondern den gesamten SOC schwächen.

Dieser Punkt ist also nur dann produktiv, wenn wir zur Selbstreflexion und Perspektivwechsel in der Lage sind.

 

Achtsamkeit

Sind wir mehr im Hier und Jetzt bekommen wir auch mehr vom aktuellen Moment mit. Sachlich gehen uns weniger „Informationen“ durch, wir können Dinge besser in Verbindung setzen. Auch die emotionalen Aspekte verschiedener Ereignisse sowie unsere Gedanken dazu werden besser nachvollziehbar. Wir trainieren damit also unsere Fähigkeit – einfach ausgedrückt – bei der Sache zu sein.

 

Konsistenz

Ein gewisses Maß an Beständigkeit und „nachvollziehbarem Zusammenhang“ ist für jeden Menschen wichtig. Unter anderem im Rahmen der Selbstreflexion können wir nach einer solchen Konsistenz im eigenen Leben suchen. Was geschieht immer wieder? Wo kann ich gewisse Muster erkennen? Welche Routinen geben mir Sicherheit? Welcher Bereich im Privaten wie im Beruf gibt es, wo ich ein bisschen mehr an Beständigkeit, z.B. durch eine Routine, gebrauchen kann?  Wo kann ich Beständigkeit auf der einen und Dynamik auf der anderen Seite in meiner Umwelt erkennen? Wie kann mir die erkannte Konsistenz eine Hilfe sein, mich auf Dynamik und Wandel einzulassen?

 

Akzeptanz

Es gibt Dinge, die geschehen sind, Umstände und Gegebenheiten, die wir nicht ändern können oder auch Merkmale unserer Person (z.B. die Körpergröße), auf die wir keinen Einfluss haben. Dazu gehören auch Sachen, die wir zwar grundsätzlich ändern oder beeinflussen können, aber nicht direkt oder nicht unmittelbar. Dies zu erkennen und anzuerkennen steigert unser Gefühl der Verstehbarkeit. Zudem wird die Verstehbarkeit erhöht, wenn wir uns klar werden, dass wir viele Entscheidungen unter Unsicherheit treffen. Akzeptieren wir auch das, wird die Welt und auch beispielsweise das Auftreten nicht-intendierter Nebenfolgen unserer Entscheidungen verstehbarer.

 

Tagebuch

Um die Erkenntnisse aus den anderen „Bereichen“ zu festigen, um Erfahrungen des Tages/der Woche/des Montas zu sammeln, zu verarbeiten und auch zu nutzen, bietet es sich an, all dies in einem Tagebuch festzuhalten. Im Grunde dient dann ein Tagebuch zur Unterstützung und Festigung der durch die anderen Aspekte angestoßenen Stärkung des SOC.

Dabei ist eine gewisse Regelmäßigkeit wichtiger, als es wörtlich zu nehmen und es täglichen befüllen zu müssen.

Außerdem können selbstverständlich auch andere Formate wie beispielsweise Bilder, Zeichnungen, Mindmaps oder auch Audio- und Videoaufzeichnungen genutzt werden.

Literatur

Bhattacharya, Sudip et al. 2020. Salutogenesis: A bona fide guide towards health preservation. Journal of family medicine and primary care 9: 16–19.

Mittelmark, Maurice B., und Georg F. Bauer. 2017. The Meanings of Salutogenesis. In The Handbook of Salutogenesis, Hrsg. Maurice B. Mittelmark et al., 7–13. Wiesbaden: Springer.

 

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